KULTURPREIS DER OBERFRÄNKISCHEN WIRTSCHAFT 1993

Der Kulturpreis der oberfränkischen Wirtschaft, mit dem seit 1970 unternehmerisches Mäzenatentum seinen Ausdruck findet, wurde für 1993 zu gleichen Teilen an zwei Vertreter der bildenden Kunst verliehen:
an die in Bayreuth lebende Bildhauerin Margarete K. Wiggen und den Kunstmaler Adrian A. Senger aus Schwarzenbach/Saale.
Bei der Überreichung des mit 10.000 DM dotierten Preises in Hof unterstrich Kammerpräsident Christian Heinrich Sandler die Notwendigkeit, das „kulturelle Aktionsfeld der Region“ auf diese Weise zu fördern.

Vor zahlreichen Ehrengästen erinnerte Präsident Sandler daran, daß der Kulturpreis der oberfränkischen Wirtschaft zum 125jährigen Kammerjubiläum im Jahr 1968 gestiftet wurde und seither zur Aktivierung der kulturellen Kräfte in Oberfranken beitrage. Kulturelle Werte und Initiativen prägen nach Ansicht Sandlers das Ansehen einer Region. Als „weiche Standortfaktoren“ erhöhten sie die Attraktivität eines Wirtschaftsraumes. „So gesehen, ist Kulturförderung immer auch ein Stück regionale Wirtschaftsförderung“, und der Kulturpreis könne somit als ein „Baustein zur Standortpflege“ gelten.

Als Mäzen einspringen

Kunst und Kultur, betonte Sandler, entstünden jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern seien auf Unterstützung angewiesen. Die Förderung kultureller Belange gewinne so in Verbindung mit spezifischer Imagepflege zunehmend an Bedeutung. Nicht von ungefähr sei sich die oberfränkische Wirtschaft, betonte Sandler, ihrer Verantwortung als Mäzen für Kunst, Wissenschaft und Kultur bewußt; denn Wirtschaft und Kultur seien in einem modernen Selbstverständnis keine Gegensätze, sondern Partner bei der Verwirklichung eines zukunftsorientierten Leitbildes für Oberfranken.

Dabei kann es nach Sandlers Worten nicht der Zweck der unternehmerischen Kulturförderung sein, die staatliche und kommunale Förderung zu ersetzen. „Es geht vielmehr darum, sie sinnvoll zu ergänzen.“ Dort, wo öffentliche Mittel nicht ausreichten – was heute vielfach der Fall sei -, stehe es der Wirtschaft gut an, „als Mäzen einzuspringen“.

In ihren Dankesworten äußerten die beiden Preisträger ihre Freude über die Ehrung und zollten der Kammer Anerkennung für das Engagement, das sie mit dem Kulturpreis an den Tag lege.

Die Preisträger

Mit Margarete K. Wiggen fiel die Wahl der Kammer auf eine Bildhauerin, deren künstlerisches Wirken in Oberfranken von der Öffentlichkeit vielfach wahrgenommen werden kann. Von Wiggen stammen etwa die Ausstattung der St.Pius-Kirche, der Rathausbrunnen, der Brunnen am Wittelsbacherplatz – alles in Hof – oder auch der Hochzeitsbrunnen in Naila.
Etwa 700 Bronzeplastiken schuf die gebürtige Westfälin, von denen etliche auch in ihrer früheren Heimat zu bewundern sind. Der Bayreuther Kulturkritiker Alexander Dick bezeichnete in seiner Laudatio auf die Bildhauerin deren Plastiken als „in Bronze geformte Mitmenschlichkeit“. Die Lebendigkeit sei eines der wichtigsten Merkmale von Wiggens Arbeiten, in deren Zentrum immer der Mensch stehe. Ihre Arbeiten seien nicht selten Allegorien auf „Grundsituationen des Lebens“.
Erst über Umwege war die Bildhauerin zu ihrer eigentlichen Berufung gekommen; der 2. Weltkrieg hatte ihre künstlerische Laufbahn unterbrochen. Sie begann eine Ausbildung als Krankenschwester und studierte nach dem Krieg Religionspädagogik. In Oberfranken lebt Wiggen seit 1971; 1990 zog sie von Köditz bei Hof nach Bayreuth.

Adrian Arthur Senger, der zweite Kulturpreisträger, hat sich einem breiteren Publikum mit dem Bildband „Wir verschweben – wir verschwinden“ bekannt gemacht. Das Engagement des freischaffenden Kunstmalers und Graphikers gilt auch der Kunsterziehung von Kindern. Der Künstler, der von sich selbst sagt, er sei ein Konservativer, sei jedoch weit entfernt von plattem Epigonentum, erläuterte Peter J. Osswald, Leiter der BAT-Casino-Galerie Bayreuth, in seiner Laudatio. Poetisch sei der Grundton in den Landschaftsaquarellen Sengers. Nicht Spektakuläres, aber um so mehr, das Erbe echter Romantik spiegle sich in seinem Werk wider.

Mit einem „kleinen Konzert“ trugen drei jugendliche Geigenschüler der Musikschule der Hofer Symphoniker, die sich bereits bei regionalen Musikwettbewerben auszeichneten, zu der Feierstunde bei. Mit Werken von Bach und Wieniaswki unterstrichen die jungen Künstler, davon zwei Mädchen, den guten Ruf Hofs als „Kulturstadt“.
März 1994 Oberfränkische Wirtschaft

Laudatio von Alexander Dick anläßlich der Verleihung des Kunstpreises der IHK Oberfranken an Frau Margarethe W i g g e n am 7. März 1994 in Hof

„In der Kunst gibt es nur ein Kriterium: die Gänsehaut“, schreibt Kurt Tucholsky, der große Berliner Satiriker und Theaterkritiker unseres Jahrhunderts, alias Peter Panther 1929 in der ‚Weltbühne“. Und weiter: „Man hat es, oder man hat es nicht.“

Man hat es, oder man hat es nicht ‑ was Tucholsky in unverwechselbarem Schnodderton einem Theaterstück von Karl Kraus attestiert, ist der Versuch einer Charakterisierung dessen, was sich vielleicht am ehesten mit der Bezeichnung „künstlerischer Augenblick“ wiedergeben läßt. Jenes Moments, welcher beim Zuhörer oder Betrachter entscheidet, ob und in welcher Weise er sich vom dargebotenen Kunstwerk einfangen läßt. Es ist dies in erster Linie kein Vorgang, der den Gesetzen unmittelbarer Logik folgt: Sie sind nicht identisch mit den Vorgängen im denkenden Bewußtsein. Wer begründen soll, daß ihn das Anhören einer Symphonie Mozarts, das Lesen eines Hölderlin‑Gedichtes, das Betrachten von Rodins „Denker“ innerlich erschüttert, wird die Ursache hierfür meist schlecht in Worte fassen können. Gänsehaut läßt sich nur schwer verbalisieren.

Im Kunstwerk sollen sich zeit‑ und raumlose Wahrheiten widerspiegeln, heißt es, ‑im abstrakten ebenso wie im gegenständlichen. Doch wer legt fest, wann und ob dieser Tatbestand erfüllt ist? Die Gesellschaft, die Kritik, der Geschmack, der Zeitgeist? Oder doch einfach die Gänsehaut? Wie viele Schicksale von Künstlern kennen wir nicht alle, denen zu Lebzeiten eine Anerkennung versagt blieb, die oftmals erst lange nach ihrem Tode auf einen Sockel gestellt wurden. Wie verblüfft wäre wohl ein van Gogh, erführe er, welche Traumsummen heute bei Versteigerungen für seine Arbeiten erzielt werden? Kunst ist kein unverrückbarer, fest bestimmbarer Faktor in einer Gesellschaft. Und dabei wäre es doch manchmal so einfach…

Wenn wir heute in diesem Kreise der Künstlerin Margarethe Wiggen unsere Reverenz erweisen, so geschieht das aus einer tiefen Verbeugung vor einer zeitgenössischen Bildhauerin ‑ und Malerin, was leider oft übersehen wird. Gerade hier in Oberfranken hat die Öffentlichkeit dem fruchtbaren künstlerischen Wirken Frau Wiggens einiges zu verdanken; ich nenne nur den Hochzeitsbrunnen in Naila, den Rathausbrunnen, den Brunnen am Wittelsbacherplatz oder die Ausstattung der St.‑Pius‑Kirche hier in Hof. Für jedermann und jederzeit sichtbare Zeichen eines künstlerischen Schaffensprozesses, der Ausdruck einer begnadeten Begabung ist, einer Begabung, aus ‑ scheinbar ‑ leblosem Material lebendige Formen zu erwecken.

Lebendig ‑ ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Merkmal an Margarethe Wiggens Kunst. Es sind keine geometrischen Formen, keine abstrakten Prozesse, keine experimentellen Installationen und Konstruktionen ‑ es sind ganz einfach Menschen, die im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen. Häufig Frauen und Kinder, Arbeiter, einfache Leute ‑menschliche Grundsituationen. „Ich habe öfter versucht, abstrakt zu arbeiten“, ließ mich Frau Wiggen einmal in einem Interview wissen. Doch irgendwie sei sie immer wieder auf die lebensnahen Dinge zurückgekommen. Das klang fast ein wenig entschuldigend. So, als müsse man im ausgehenden 20. Jahrhundert Gegenständlichkeit in der Kunst vor der Öffentlichkeit verbergen, weil diese zum Opfer einer allgewaltigen Kritik werden könnte.

„Seit die Impressionisten der französischen Akademie die Stirn boten, ist in der Malerei ein Stil dem anderen gefolgt, einer immer esoterischer als seine Vorgänger“, schreibt der deutsch‑amerikanische Kulturhistoriker Peter Gay in einem Aufsatz über die Gegensätze in der Moderne. Und weiter: „Bildhauerkunst, Architektur, Philosophie und später auch die Literaturkritik sind von Avantgardisten erobert worden, die ihren einzelgängerischen Weg verfolgen, das Verständnis nicht nur der Masse sondern auch der Gebildeten verschmähen und sie mit einer merkwürdigen Mischung aus Selbstmitleid und Provokation über die Schulter ansehen.“

Wir wollen hier und heute nicht den Versuch machen, Abstraktes, Avantgardistisches, Esoterisches und Gegenständliches in der Kunst gegeneinander auszuspielen. Warum jedoch sollte es im Zeitalter von Computer und Telekommunikation, von Rakete und Massenvernichtungswaffen keinen Platz mehr für Menschlichkeit in der Kunst geben. Ich meine, wir haben sie gerade heute mehr nötig, als viele Generationen vor uns.

Margarethe Wiggen ist zu ihrem Menschenbild in der Kunst sicher auch von den Ereignissen dieses Jahrhunderts geprägt gelangt. Der II. Weltkrieg war es, der das junge Mädchen in seiner westfälischen Heimat bewog, eine begonnene künstlerische Ausbildung abzubrechen und sich fortan in praktizierter Mitmenschlichkeit zu üben. Sie begann eine Ausbildung zur Krankenschwester, die sie mit sehr gutem Ergebnis abschloß. Auch nach dem Ende des Krieges, den sie als Operationsschwester an mehreren Krankenhäusern erlebte, ließen die allgemeinen Umstände eine Rückkehr in die künstlerische Laufbahn nicht zu. Margarethe Wiggen wandte sich einer regen sozialpädagogischen und fürsorgerischen Tätigkeit zu; ein Studium an der Pädagogischen Hochschule Vechta schloß sie mit dem Examen als Religionslehrerin ab.

Wer heute vor Margarethe Wiggens Plastiken steht, glaubt, etwas von dieser in Bronze geformten Mitmenschlichkeit zu verspüren: die ernsten Gesichter von oft jungen Menschen, die um ihre Kindheit betrogen scheinen; deren Blicke jedoch nie ganz von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit erfüllt sind, sondern ein bestimmtes Maß an Zuversicht ausstrahlen.

Margarethe Wiggens Plastiken bilden den Menschen nicht ab. Sie sind Momentaufnahmen von Augenblicken, die der Ewigkeit sehr nahe kommen. Titel wie „Angst“, „Gewalt“ oder „Flucht“ weisen auf einen bestimmten Grad der Abstraktion hin. Vielfach kommen die Arbeiten der Allegorie sehr nahe, ganz im Sinne der Goetheschen Definition, nach der der Künstler „zum Allgemeinen das Besondere sucht“. Margarethe Wiggens Skulpturen und Reliefs sind nicht selten personifizierte Darstellungen von Grundsituationen des Lebens. Eines Lebens, dessen Licht‑ und Schattenseiten die Künstlerin beide zur Genüge kennenlernen konnte.

Daß Margarethe Wiggen, die schon als Kind beim Gestalten von Bühnenbildern für die von ihrem Vater geleitete Theatergruppe ein Gefühl für Plastizität entwickeln konnte, wieder ganz den Weg zur Kunst fand, verdankt sie zum einen ihrem Fleiß, durch den sie sich immer wieder den Anschluß an die bildende Kunst verschaffte. Zum anderen bewog sie eine Reihe von Begegnungen und Schlüsselerlebnissen sich ihrer großen Passion, die man vielleicht nicht anders als mit Bestimmung umschreiben kann, verstärkt zu widmen. Die Begegnung mit Professor Paul Dierkes von der Kunstakademie Berlin trug sicher viel zu dieser beruflichen Wende bei. Studienreisen nach Holland, Italien und Frankreich und schließlich ein Studium bei Professor Nathanson in Paris trieben weiter und gezielt die Ausformung einer Künstlerpersönlichkeit voran.

Zahlreiche Kunstwerke entstanden in der Folgezeit in der neuen rheinischen Heimat: Bilder, Plastiken, Reliefs, Kleinbronzen. Von Margarethe Wiggen stammt ein wesentlicher Teil der Ausstattung in der Kirche der Mainzer Universitätsklinik. In zahlreichen Städten Westdeutschlands finden sich Arbeiten der Künstlerin; nicht zuletzt durch den glücklichen Umstand Ihres Umzugs nach Hof und später nach Bayreuth, verehrte Frau Wiggen, ist auch Oberfranken in den Genuß einer ganzen Reihe Ihrer Kunstwerke gekommen.

Gut 700 Plastiken hat Margarethe Wiggen geschaffen. Zumeist aus Bronze, einem Material, das lebt, obwohl es kalt ist, wie die Künstlerin sagt. Jedes einzelne Werk für sich ist Ausdruck lebendiger Auseinandersetzung mit dem Dasein. Wer sich ihr stellt, wird sich schnell von den Arbeiten gefangen nehmen lassen. Denn die Phase, meine Damen und Herren, in der sich entscheidet, ob ein Kunstwerk das Innerste angreift, ist kurz. Nur ein Augenblick. Man hat es, oder man hat es nicht. Womit wir wieder bei Tucholsky angelangt wären: In der Kunst gibt es nur ein Kriterium, die Gänsehaut. Ich glaube, der Anblick vieler Werke von Margarethe Wiggen verhilft uns zu dieser. Vielleicht, weil sich in ihnen so viele zeit‑ und raumlose Wahrheiten widerspiegeln.

Alexander Dick

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